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Camerons Misere

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Wer hätte das gedacht – die Wahlen zum Europaparlament bewirken etwas. Zunächst mal steigt die Wahrscheinlichkeit, das Juncker jetzt Kommissionspräsident wird, fast täglich. Noch relevanter ist aber, dass es dadurch zu Verstimmungen zwischen London und Berlin kommen könnte.

Angela Merkel steht unter Druck. Die deutsche Öffentlichkeit sowie die meisten deutschen Parteien und Politiker sprechen sich dafür aus, dass Juncker als “Wahlsieger” jetzt auch Kommissionspräsident werden soll. Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie eine solche Stimmung nicht bemerken und darauf reagieren würde – und hat sich vergangene Woche auch dafür ausgesprochen, Juncker zu unterstützen.

Merkel toleriert Juncker, Cameron findet darum beide blöd

Und genau das ist ein rotes Tuch für den britischen Premierminister Cameron – immerhin ist Juncker ein überzeugter Europäer, und noch dazu einer der Konservativen, die sich für eine gemeinsame europäische Krisenpolitik ausgesprochen haben. Ein rotes Tuch also für den britischen Politiker, der alles tut, um Europa zurückzubauen und europäische Initiativen zu verhindern.

Dass Cameron schon länger Drohungen ausstößt, Juncker als Kommissionspräsident könne die Briten in den EU-Austritt treiben: Geschenkt. Jedem, auch ihm selbst, dürfte klar sein, wie lächerlich die Drohung ist. Immerhin sollen die Briten eigentlich erst 2017 abstimmen, da kann sich noch einiges ändern, und vor allem: Die Stärke euroskeptischer Parteien wie UKIP lässt sich kaum mit wenig bekannten Politikern in Brüssel erklären. Da muss Cameron sich schon an die eigene Nase fassen.

Er stößt damit aber die Kanzlerin vor den Kopf, denn er spricht öffentlich Sachen aus, die man klugerweise nur implizieren würde. Nicht sehr diplomatisch, und wahrscheinlich mehr nach innen gerichtet als nach außen, denn: Selbst Cameron dürfte bewusst sein, dass eine so simple Drohung wenig bewirken wird. Aber anstatt dadurch Stimmen zu erhalten, hat er jetzt eine wohl wenig erfreute Kanzlerin gegen sich, die nun Juncker durchsetzen muss, um ihr Gesicht nicht zu verlieren. Camerons öffentliche Drohung dürfte Junckers Chancen eher erhöht haben, Merkels vage Zusagen an Juncker muss sie jetzt viel eher einhalten.

Cameron mag Lucke, Merkel findet jetzt beide blöd

Da hilft es natürlich nicht, dass Merkels und Camerons Parteien nicht in derselben Fraktion im Europaparlament sitzen. Den Tories waren die Konservativen im Europaparlament nämlich zu EU-freundlich (mal als Erinnerung: Wir sprechen über die Fraktion, der Berlusconis Forza Italia ebenso angehört wie Orbans Fidesz). Stattdessen werden sie wohl bald in einer Fraktion mit der AfD sitzen, und die ist nun mal der rechte Konkurrent der CDU.

Die CDU hat auf den Wahlerfolg der AfD auch reagiert – mit Anfeindungen. Gut, eine rechte Politikerin wie Erika Steinbach kann sich eine Koalition vielleicht vorstellen, aber das hat nichts zu sagen. Der Mainstream der Partei – und eben auch Merkel – geht ganz klar auf Konfrontation. Wenn die SPD mehr als 24 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch keine Koalition mit der Linkspartei im Bund eingehen mag, dann braucht die CDU wohl auch mehr als ein paar Wochen, um eine Zusammenarbeit mit einer neuen rechten Partei zu beginnen. Und die SPD hat nicht nur mehr Erfahrung mit radikaleren Parteien, sie hat auch auf Landesebene schon länger mit der Linkspartei koaliert – dafür bräuchte es also noch ein paar Jährchen mit CDU und AfD.

Wenn Cameron auf EU-Ebene aber mit Lucke zusammenarbeitet, dann arbeitet er mit Merkels innenpolitischem Gegner zusammen. Und zwar mit ihrer größten und, je nachdem wie die Parteistrategen das sehen, wohl auch gefährlichsten innenpolitischen Gegner, denn Lucke wildert in ihrer Wählerschaft und schadet ihrem Mehrheitsbeschaffer FDP.

Die Zusammenarbeit zwischen Merkel und Cameron dürfte also durch diese beiden Ergebnisse der Europawahl nachhaltig belastet werden. Und dabei war ihr Verhältnis bisher eigentlich eher belastbar und vertrauensvoll.

“Nordstaaten” gegen “Südstaaten”

Die mächtigste Frau Europas schaffte es ganz gut, ihre Allianzen zu hegen und pflegen. Mit einigen, vor allem nordeuropäischen Staaten – Schweden, die Niederlande, Finnland – konnte sie immer rechnen, wenn es darum ging, Kosten in der Eurokrise niedrig zu halten und ein gemeinsames agieren zu verhindern. Cameron war da ein verlässlicher Partner, als Vertreter eines wichtigen Landes und als jemand, der noch extremere Meinungen vertritt. Wenn ein großes Land wie Großbritannien den EU-Haushalt verkleinern will, dann kann Merkel einer faktisch nicht vorhandene Erhöhung als guten Kompromiss und Fortschritt verkaufen – und so ihre eigenen Positionen durchsetzen.

Geholfen hat ihr dabei die Zerstrittenheit und Schwäche der vor allem südeuropäischen Staaten, die mehr europäisches Engagement wünschten. Länder wie Griechenland und Spanien stecken in der Krise und sind meist politisch mit sich selbst beschäftigt, die Politiker sind froh, die Legislaturperiode zu überstehen. Andere Länder wie Spanien und Frankreich haben zwar stabile Regierungen, kämpfen aber dennoch gegen wirtschaftliche Probleme und starke innenpolitische Konkurrenz an.

Die geeinten “Nordeuropäer”, mit der taktisch klugen Kanzlerin, standen also in vielen Fragen gegen die zerstrittenen “Südeuropäer”, mit einem neuen französischen Präsidenten Hollande, der zwar viel versprochen hatte, aber bis auf einige Kleinigkeiten (erinnert sich jemand an das Programm zur Jugendarbeitslosigkeit?) wenig durchsetzen konnte.

Cameron war bisher ein wichtiges Puzzlestück für Merkels Pläne in Europa. Umgekehrt profitierte Cameron davon, ein offenes Ohr bei einem anderen wichtigen Land zu finden (achja, zur Erinnerung: Die vier “großen” in Europa sind Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien). Die durch den neuen sozialistischen Präsidenten leicht abgekühlte deutsch-französische Achse konkurrierte nun mit der deutsch-britischen Achse. So konnte Cameron auch relativ erfolgreich die Finanztransaktionssteuer verhindern. Oder eben Pläne bremsen.

Und Merkel? Merkel hatte die perfekte Grundlage für ihre präferierte Form der Politik gefunden: langsames, bedachtes agieren, weil entweder Frankreich oder Großbritannien dagegen waren.

Parlament gegen Kommission

Die Kommission war also weitgehend auf Merkel-Linie. Konkret also: Gegen Eurobonds, gegen gemeinsame größere Konjunkturpakete, gegen EU-Reformen hin zu mehr gemeinsamer Wirtschaftspolitik, bloß nichts überstürzen, lieber Brände löschen (siehe Schuldenschnitt) als im Vorfeld agieren.

Das Parlament sah das immer anders. Sogar die konservative Fraktion sprach sich wieder und wieder für eine gemeinsame europäische Politik in der Eurokrise aus. Die Parteien im Europaparlament wirken im Vergleich zu den nationalen Parteien linker, risikobereiter und europäischer. Kein Wunder, denn sie sind auch gewählt für Europa, anders als die Staats- und Regierungschefs, die vor allem nationale Interessen verfolgen.

Und damit wären wir wieder bei einem der Gründe, warum Cameron Juncker nicht mag. Juncker ist nämlich, auf seine eigene, vorsichtige Art, eher auf der Linie des Europaparlaments als auf der der Kommission. Er ist eher auf der Linie der “südlicheren” Staaten als auf der der “nördlicheren” Staaten. Mehr Frankreich, weniger Deutschland, vor allem aber: Mehr Brüssel, weniger London. Cameron befürchtet eine Machtverschiebung im europäischen Gefüge, hin zu einer Politik, die er nicht mag.

Vor allem aber befürchtet Cameron eine Machtverschiebung nach Brüssel. Denn Juncker, als gewählter Kommissionspräsident, hätte ein ganz anderes Verständnis von seinem Job als seine Vorgänger. Juncker, der nicht direkt ein Kommissionspräsident von Merkels Gnaden wäre, den die Staatschefs eingesetzt haben, könnte viel unabhängiger agieren. Und damit dem Parlament, das ständig Machtkämpfe mit der Kommission austrägt, zu mehr Bedeutung verhelfen.

Selbsterfüllende Prophezeiung: Camerons Blockierer werden schwächer

Die Ironie: Genau das beflügelt Cameron jetzt durch seine Skepsis gegenüber Juncker. Denn wenn er sich nicht länger auf Merkel verlassen kann, dann wird es wahrscheinlicher, dass auch weniger euroskeptische Regierungsschefs durchsetzen werden. Die Front der Verhinderer bröckelt.

Und Juncker wird sich das merken. Anstatt das Gespräch zu suchen, Juncker Angebote zu machen oder Bedingungen zu stellen, hat Cameron gleich im Vorfeld, quasi mit einem Schlag, sein Verhältnis zu Juncker belastet und es dabei realistischer gemacht, dass Juncker auch Kommissionspräsident wird.

Eine wichtige Verbündete verärgert, kein offenes Ohr beim wohl künftigen Kommissionspräsidenten: Es sieht nicht gut aus für Cameron. Die neue Rechtspopulistische Fraktion im Europaparlament, auf den ersten Blich eine mögliche Verbündete, wird da ein schwacher Trost sein: Wenn Cameron mit denen zusammen arbeitet, kann es sein, dass die Briten viel öfter gleich das Original wählen, nämlich die euroskeptische UKIP. Deren Botschaft ist auch einfacher als Camerons “ich bin nicht gegen die EU aber ich mag sie auch nicht ganz so dolle”.

 

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